Die Notwendigkeit zu systemischem Denken wurde in verschiedenen Wissenschaftsgebieten (Biologie, Physik, Ökologie, Soziologie u.a.) früh gesehen, immer mit dem Wunsch verbunden, komplexe Wechselwirkungen zu ergründen und dieses Wissen nutzbar zu machen. In der Beratungs- bzw. Therapiepraxis war die Unterstützung von Familien der Ausgangspunkt für systemische Fragestellungen. Praxis und Theorie gingen hier Hand in Hand bei der Erforschung und Gestaltung von Kommunikationsstrukturen und Regeln in Familien, der familiären Bedingungsfaktoren bei der Entstehung verschiedener psychischer Symptomatiken und der Paar- und der elterlichen Rollenaufteilung.
Die Kreativität und Anwendbarkeit ließ den systemischen Ansatz in weitere Felder psychosozialer Arbeit ausstrahlen und führte dort zu kontextspezifischen Weiterentwicklungen (z.B. in der Kinder- und Jugendhilfe, der Organisationsberatung, Psychiatrie und Drogenberatung). Insofern bestimmt heute die Mehrpersonen-Beratung nicht mehr so stark das systemische Arbeiten, dennoch bietet dieser Ansatz auch weiterhin mit seinen familienspezifischen Methoden (Genogramm, Aufstellungen und Skulpturen, zirkuläres Fragen) ein wirksames Repertoire, um Paare, Familien und Teams auf ihrem Entwicklungsweg zu begleiten.
Systemische Methoden sind zwischenzeitlich sowohl für den Bereich der Erwachsenentherapie, wie auch für die Kinder- und Jugendlichentherapie als wirksam nachgewiesen. Perspektivisch wird dies auch die Verbreitung weit über die in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe zu findende Anwendung in neuen Feldern inspirieren. Diese Entwicklung systemischer Konzepte hat jedoch auch zu einer Ausdifferenzierung beigetragen, sodass eher von einem Ansatz mit verschiedenen Varianten gesprochen werden muss.
Bei der systemischen Beratung/Therapie geht es – neben den bereits genannten (und weiteren) Methoden – um die Grundhaltung der BeraterInnen/TherapeutInnen und die Gestaltung des Settings. Insbesondere in einer konstruktiven kooperationsförderlichen Einstellung und Offenheit gegenüber den Sichtweisen, Lebenskonzepten und Besonderheiten der Klienten ist das systemische Grundverständnis zu sehen. Personen sind nicht an sich so oder so (depressiv, lernunwillig, aggressiv u.a.). Wesentlich ist hierfür das „Entdecken“ dieser „Merkmale“ durch eine relevante Person und die kommunikative Markierung/Verdichtung zu einem „Problem“. Insofern sind derartige Bedeutungsgebungen immer als Resultat von Kommunikation zu sehen und nicht als (überdauerndes) Merkmal in der Person liegend. Auf der Ebene philosophischer Schulen wird der heutige systemische Ansatz mit dem Konstruktivismus verbunden, besser zu bezeichnen als Konstruktionismus. Diese Denkrichtung betont die je beobachterabhängige Perspektive auf die Welt, den nutzenorientierten Zugang zur Erkenntnis und die in der Kommunikation erzeugte „Wahrheit“.
Im Setting findet sich ein breites Spektrum der Einzel-, Paar-, Familien-, Mehrpersonenkonstellation (z.B. Teamberatung). Schon früh war die Vermittlung der Perspektivenvielfalt im systemischen Ansatz ein zentrales Anliegen. Hierfür wurden u.a. die Arbeit mit der Einwegscheibe, dem Reflecting Team und darstellende Methoden (z.B. die Aufstellung) eingesetzt. Ein besonderes Gewicht wird im systemischen Arbeiten auch auf die Auftragsklärung gelegt, immer davon ausgehend, dass verschiedene Perspektiven auf das „Problem“ bestehen und folgerichtig auch unterschiedliche Anliegen (ausgesprochen und unausgesprochen) bestehen. In diesem Kräftefeld hat der/die BeraterIn zu arbeiten und Lösungsschritte (als gemeinsames Handeln der Beteiligten) mit den Klienten zu erarbeiten. Essentiell für das systemische Arbeiten ist auch die Abschlussintervention, berühmt geworden als paradoxe Verschreibung des symptomatischen Verhaltens im Rahmen der 70er und 80er Jahre der Mailänder Schule.